Die Haltung der Parteien im Diversity-Check
Grüne fordern Vielfaltsministerium – AfD lehnt „Ansinnen entschieden ab“
- Wahlprüfsteine: So engagieren sich Parteien mehrheitlich für Vielfalt in Deutschland – oder eben nicht.
- Geschlechtergerechtigkeit steht bei den Parteien als Thema im Vordergrund; Nachholbedarf bei sozialer Herkunft und Nationalität
- Stefan Kiefer: „Zeit der Lippenbekenntnisse ist vorbei. Vielfalt muss gelebt werden.“
Berlin, 09. September 2021. Am 26. September entscheiden 60 Millionen Menschen über die Zukunft Deutschlands.Die Wahl wird richtungsweisend dafür, wie viel Vielfalt, Toleranz und Respekt wir künftig im politischen Diskurs haben werden. Der Charta der Vielfalt e.V. fordert: Wir brauchen von der nächsten Bundesregierung ein klares Bekenntnis zu einer Gesellschaft, die frei von Vorurteilen ist.
Trotz aller Gerüchte über Politikverdrossenheit nimmt das zivilgesellschaftliche Engagement zu, wie etwa die Zahlen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zeigen, eine repräsentative Umfrage, die seit 1984 durchgeführt wird. Zudem gehen immer mehr Menschen für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft auf die Straße. Beim Deutschen Diversity-Tag im Mai setzten über 900 Organisationen ein Zeichen für Vielfalt. Andererseits haben sich aber auch diskriminierende Positionen in den vergangenen Jahren wieder stärker verbreitet.
Die Arbeitgebendeninitiative Charta der Vielfalt e.V. hat „Wahlprüfsteine“ an sämtliche Parteien gesendet, die derzeit im Bundestag vertreten sind. Hierbei wurde den Parteien mit konkreten Fragen zu ihrem Engagement für mehr Vielfalt auf den Zahn gefühlt. Die Auswertung der Antworten zeigt, dass Themen zu Diversität zwar auf der politischen Agenda angekommen sind – das Bekenntnis zu einer diskriminierungs- und vorurteilsfreien Gesellschaft in den einzelnen Parteien aber einen sehr unterschiedlichen Stellenwert einnimmt.
Die Grünen befürworten die Einführung eines Vielfaltsministeriums, um Diversity-Themen zu bündeln und eine klare politische Verantwortung für das Themenfeld in Deutschland zu schaffen. Dieser Forderung schließt sich Die Linke an. Die anderen Parteien sehen dagegen keine Notwendigkeit, die Zuständigkeit hier klarer zu definieren. Die AfD lehnt das „Ansinnen“ sogar „entschieden“ ab, weil sie dadurch eine „Zersplitterung der Bevölkerung“ befürchtet.
Beim Thema „Pflege“ sind sich alle Parteien einig: Es besteht dringender Handlungsbedarf. Menschen, die für Verwandte oder Freund_innen sorgen müssen, treten im Job oft kürzer. Diese private Care-Arbeit soll anerkannt und kompensiert werden.
Thematisch setzen die Parteien einen Schwerpunkt im Bereich Geschlechtergerechtigkeit. Unter den Vielfaltsthemen ist und bleibt die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern eine Priorität im politischen Diskurs.
Uneinig sind sich die Parteien dagegen bei der Frage, ob bestehende Gesetze gegen Diskriminierung um die Merkmale geschlechtliche Identität, soziale Herkunft und Nationalität erweitert werden sollen. Aus Sicht des Charta der Vielfalt e.V. ist dies eine klare Sache: „Die Parteien, die diese Diskriminierungsmerkmale nicht anerkennen, verwehren dadurch den Betroffenen einen verbindlichen Rechtsschutz“, sagt Stefan Kiefer, Geschäftsführer des Vereins, und fügt hinzu: „Immerhin hat ein Teil der Parteien verstanden, dass Vielfalt kein Selbstläufer ist – sondern ein Prozess, der mit Nachdruck politisch gefördert werden muss.“ So seien in vielen Wahlprogrammen gute Ideen zu finden, wie Vielfalt noch besser gesellschaftlich geschützt und mehr noch: gesellschaftlich gestärkt werden kann.
Einzig die AfD spricht sich, so das Ergebnis der Wahlprüfsteine, gegen konkrete Maßnahmen für die Vielfaltsförderung aus und sieht keinen konkreten Handlungsbedarf – die Rechtskonservativen bezeichnen vielmehr Vielfalt innerhalb der Partei als „selbstverständlich“.
In den vergangenen Jahren wurden durch Bundesregierung und Bundestag bereits einige wichtige Signale für die Anerkennung von Vielfalt gesetzt. Etwa die Einführung der Ehe für alle. Aber bis zu einer wirklich gleichberechtigten, diskriminierungsfreien Gesellschaft ist es ein weiter Weg. Arbeitnehmer_innen mit Behinderung werden immer noch ungleich entlohnt, auch der Gender-Pay-Gap ist nicht überbrückt. Zudem sind Arbeiter_innenkinder aufgrund ihrer Herkunft weiterhin von vielen Bildungschancen abgeschnitten.
Zivilgesellschaft und Wirtschaft setzen sich mit großer Energie für Diversity ein. Der Charta der Vielfalt e.V. fordert, dass auch die Politik das Thema dauerhaft und mit der nötigen Leidenschaft auf die Agenda setzt. „Die Zeit bloßer Lippenbekenntnisse ist vorbei“, sagt Stefan Kiefer. „Es ist die Aufgabe der Politik, die Vielfalt in unserer Gesellschaft ganz konkret zu schützen und zu fördern. Dafür müssen gute Ansätze aus den Parteiprogrammen konsequent umgesetzt und weitere politische Ideen und Visionen für ein respektvolles Miteinander entwickelt werden. Kurzum, die Politik muss Vielfalt endlich leben!“
Die Charta der Vielfalt unterstützt als eingetragener Verein und Unternehmensinitiative Gesellschaft, Wirtschaft und politische Entscheider_innen dabei, die Anerkennung, Wertschätzung und Einbeziehung von Vielfalt in Deutschland voranzubringen.
Die Antworten der Parteien auf die Wahlprüfsteine finden sich übersichtlich aufbereitet in einem Factsheet. Die vollständigen Antworten finden Sie hier.